Episode 24

Vollkontakt

Die letzte Runde hat begonnen…

«Mein Bein», schrie Marina, «mein Bein», als sie aus dem Zimmer gefahren wurde, «mein Bein», und zwinkerte Estelle zu, ehe sie mit der Pflegefachfrau zum Röntgen verschwand. Monika, die Blumenverkäuferin stapfte hinterher, nur noch einzelne Blumen in der Hand. Diejenigen, die trotz Vollkontakt mit Mark Burri noch heil geblieben und nicht geknickt waren. Starke Blumen. Und Monika würde es ihnen gleichtun. Sie würde ihren Kopf einfach Richtung Sonne drehen und sich nicht geknickt fühlen. Vorher aber würde sie Mark auf den Parkplatz folgen, wenn er dann das Krankenhaus verlässt, und an seinem Auto so einiges abknicken. Die Atenne vielleicht und die Seitenspiegel, vielleicht auch die Scheibenwischer, und vielleicht würde sie diesem Lackaffen auch noch ein wenig den Lack zerkratzen, jedenfalls schien ihr das gerade jetzt, in diesem Moment, eine angemessene Reaktion auf sein Verhalten. Auf seine Lüge.
«Ich habe dich angelogen», sagte Estelle frei heraus und sie hätte juchzen können, so befreiend fühlte sich das an. «Danke, dass du es mir gerade so leichtmachst. Mark. Und richte bitte auch der Blumenfrau meinen Dank aus. Ich meine das nicht sarkastisch. Werdet glücklich von mir aus. Denn ich werde es nicht mit dir. Das weiss ich schon länger, und es tut mir aufrichtig leid, dass ich es dir nicht sagen konnte. Ich konnte es einfach nicht.»
«Und jetzt tust du es und stellst mich erneut, völlig öffentlich, vor anderen bloss?» Mark zupfte immer noch Blüten von seinem Hemd und aus seinen Haaren. Und aus seinem Mund. «Na na na « meldete sich Lilly und richtete sich im Bett auf. Mark würdigte sie keines Blickes. «Hast du mich deshalb angerufen und hierher bestellt? Estelle? Um mich vor anderen fertig zu machen?» Burris Stimme zitterte.
«Im Gegenteil», sagte Estelle, «ich hatte dich angerufen, weil ich grosse Stücke auf dich halte, als Anwalt, und weil jemand in diesem Zimmer einen guten Anwalt braucht.» Kantonspolizist Hitz fühlte sich direkt angesprochen: «Also sie wollen mir doch jetzt nicht unterstellen…das mit dem Mädchen…ich bin gestolpert, gopferdeckelnomol! Das war doch keine Absicht!» Hitz sah sich schon in den Medien: «Polizist schlägt zurück! Weil sie einen tanzfreudigen Polizisten filmte und nun das ganze Internet über ihn lacht, trägt Marina von «Marinas Welt» jetzt einen Gips. Ein Kollege des Gehörnten hat den Corps Gedanken wohl etwas zu ernst genommen und der erfolgreichen Youtuberin das Bein gebrochen. Sind das die modernen Methoden der Polizei?» Hitz schauderte es. «Ihr solltet ihr nachhaltig ins Gewissen reden», hörte er seinen Chef flüstern. Und dann lauter: «Angst machen, ihr Knallköpfe! Aber doch nicht gleich die Knochen brechen! Himmelherrgottnochmal!» Hitz erbleichte.
«Ich», sagte Lilly mit ruhiger Stimme, und kraulte den schwarzen Kater hinter dem Ohr, «ich brauche einen Anwalt.» Sie genoss die Stille, die schlagartig einkehrte, und die Blicke, die sich nun auf sie richteten. «Ich war unartig», sagte sie zum Kater. Und dann zu den anderen: «Ich habe mich strafbar gemacht. Ich habe etwas Schlimmes getan. Ich habe…»
«Also sooo schlimm ist das nun auch wieder nicht», fiel ihr Pesche, der reformierte Pfarrer ins Wort, «wir wollen doch nicht übertreiben, Tantchen.» Er lachte leicht nervös und versuchte vergeblich, seine zugeschwollenen Augen aufzukriegen.
«Ja, wie würdest du das denn nennen», sagte Lilly, «wenn eine alte Frau wie ich, ihren…»
«Ihren.. geliebten Kater mit ins Krankenhaus schmuggelt?» unterbrach Pesche sie abermals und fuhr gleich ohne Luft zu holen fort: «Das ist sicherlich nicht ganz den Vorschriften entsprechend, aber in Anbetracht deiner Situation doch sehr verständlich, du hast eben erst deinen Mann verloren, fühlst dich allein. Oder etwa nicht? Der einzige, der durch dieses Katzenvieh einen Schaden davon getragen hat, bin ich.» Pesche zog seine Nase hoch. «Und ich werde den Teufel tun, dich dafür zu belangen.» Lilly verstand nicht, was ihr Neffe da faselte, aber er hatte offenbar einen Plan. Vermutlich versuchte er ihr unter seinen verklebten Augendeckeln krampfhaft zuzublinzeln. «Ja wenn du meinst», sagte sie und liess es gut sein.
«Ich habe es schon einmal gesagt» schaltete sich nun Kantonspolizist Frunz ein, «das mit der Katze geht uns nichts an.» Und Hitz, froh drum, dass es gar nicht um ihn ging, pflichtete seinem Kollegen bei. «Was uns jedoch sehr wohl etwas angeht» fuhr Frunz fort, «ist das Ford Mustang Cabriolet, das in diesem Moment vor unserem Hauptsitz in Baden wild geparkt steht. Das sollte jemand schnellstmöglich umparken.» Er holte den Autoschlüssel hervor, den Roberto Borello ihm übergeben hatte, und liess ihn um den Zeigefinger kreisen «Lange kann ich die Busse nicht mehr verhindern.»
Er werde sich darum kümmern, sagte Pesche.
Er werde hier nicht mehr gebraucht, sagte Mark.
Sie würden den Fall hier als abgeschlossen betrachten, sagten Hitz und Frunz.

Als Marina zurück ins Zimmer 16 gebracht wurde, sassen Lilly und Estelle gerade bei der zweiten Tasse Tee. «Nur geprellt», sagte Marina, «nichts gebrochen.»
«Setzt dich zu uns», sagte Lilly. Und als die Krankenschwester draussen war: «Und auch nichts verbrochen. Glück gehabt.» Die drei Patientinnen lachten.
Als es draussen dunkel und auf der Baustelle völlig ruhig geworden war, lehnten die drei aus dem Fenster, ein Laken über sich geschlungen, und pafften gemeinsam das letzte verbliebene Zigarettchen. Estelle hatte es noch im zerknitterten Päckchen gefunden und Marina hatte es am Heizstrahler angezündet. «Und», fragte Lily, und nahm einen tiefen Zug, «was habt ihr für Pläne, wenn wir hier raus sind?»

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