Episode 20

Die Beichte

Lilly bechert und beichtet.

«Deine Tante Lilly hat einen Bockmist gemacht», sagte Lilly und verlangte abermals den Flachmann. Pesche schaute aus geschwollenen Augen heraus zu, wie sie den Kopf in den Nacken legte und den Schnaps in sich hineinschüttete. Als sie fertig war, leckte sie sich mit der Zunge über die Lippen und fluchte. Da spüre man ja gar nichts. Der Schnaps sei kaputt. Der mache gar nicht lustig. Mit Feuerwasser habe das hier nichts zu tun. Konfirmanden-Pipi sei das. Wohl der erste Morgenurin! Pesche nahm den fast leeren Flachmann entgegen. Wenn er fahre, sagte er, halte er sich strikt an Rum-Cola Zero, da habe er eine Linie. Der reformierte Pfarrer sah nicht gut aus. Die Nase war komplett zu und in den Augen lief milchiger Schleim zusammen wie bei einer Bindehautentzündung. Verdammte Katze. Sie lag friedlich bei Lilly auf dem Bett. Und er würde bald nicht mehr atmen können. «Und bei der Beichte?», fragte Lilly, «hast du da auch eine Linie?»
«Nochmals. Ich kann dir keine Beichte abnehmen», sagte Pesche, «ich bin jetzt reformierter Pfarrer, das tun wir nicht.»
«Aber davor warst du katholischer Pfarrer. Und das kann man nicht einfach so abstreifen wie ein…wie ein…nein, ich sag es jetzt nicht», antwortete Lilly. Ihre Wangen waren knallrot. Offenbar entfaltete der Schnaps doch langsam seine Wirkung.
«Ich will nur sagen», fuhr sie fort, «als katholischer Pfarrer hast du damals auch reformierte Dinge getan und nun könntest du als reformierter Pfarrer auch einmal etwas katholisches tun. Für mich. Bitte.» Lilly beugte sich leicht vor und kraulte Kater Carlo unter dem Kinn. «Dieser Prachtkerl ist nicht zufällig hier. Der weicht seit Tagen nicht mehr von meiner Seite. Ich bin sicher, er kann den Tod riechen. Vielleicht meinen eigenen. Ganz sicher aber den von meinem Mann Charles und den vom Schmuck-Röbi.» Sie blickte zu Pesche auf und schaute ihn eindringlich an. «Er will, dass ich beichte.» Lilly wusste genau, wie empfänglich ihr Neffe für derartige Geschichten war. Sie hatte ja jahrelang seinen Sinn dafür geschärft, vor dem Schlafengehen, als Pesche noch ein kleiner Junge war und sie bereits eine fantastische Lügnerin. Aber nun ging es für einmal um die Wahrheit. Lilly hatte einen Bockmist gemacht. Und auch wenn es ihr gewaltig stank, nun musste alles ans Licht.
«Also gut, ich mache dunkel», sagte Pesche und stöhnte, als er vom Stuhl aufstand. Er wollte gar nicht wissen, was seine Tante auf dem Kerbholz hatte, vor allem aber, schmerzte sein wunder Hintern. Pesche liess die Storen herunter, stellte sein Hasch-Öllämpchen auf den Tisch und zündete es an. Dann löschte er das Zimmerlicht. Seine Tante und die Katze sahen richtig gruselig aus im Schein des Lämpchens. Es fröstelte ihn. «Also wenn wir das schon machen, dann machen wir es richtig», sagte er und zog den Trennvorhang um Lillys Bett. Dann zog Pesche auch noch den Vorhang um das mittlere Bett und legte sich hinein. Oben an der Zimmerdecke gab es ein Schattenspiel und ein süsslicher Duft verbreitete sich im Raum. «Kann ich endlich loslegen?» fragte Lilly, und Kater Carlo miaute. «Pesche? Bist du bereit?» Pesche antwortete mit einem lauten Schnarchen. Und beide mussten lachen. Wegen der Situation. Und dem Schnaps. Kriegten sich fast nicht mehr ein. Richtig befreiend war dieses Lachen, und laut, so laut, dass sie gar nicht merkten, dass die Tür aufging und Estelle und Marina ins Zimmer schlüpften. «Ok, ich bin bereit», sagte Pesche und wischte sich mit dem Ärmel ein paar Tränen ab. Dann kippte er den letzten Schluck aus dem Flachmann. «Ich werde deine Beichte nun empfangen.» Estelle und Marina schauten sich ungläubig an. Dann setzten sie sich vorsichtig auf das dritte Bett und lauschten.
«Du weißt, wie sehr Charles Schnitzel und Pommes liebte», begann Lilly. Pesche kicherte. «Die Katzen! Heieiei, reiss dich zusammen.» Lilly boxte gegen den Vorhang. «Die waren wirklich süss, die alten Damen. Und Charles und ich haben sie neben demselben Baum auf dem Üetliberg begraben.» Pesche atmete erleichtert aus. «So etwas muss man doch nicht beichten, das ist doch völlig ok.»
«Moment», sagte Lilly und räusperte sich. «Charles wünschte sich danach, ebenfalls bei diesem Baum begraben zu werden, bei seinen Katzen, wenn es denn so weit sei.» Lilly machte eine Pause. «Und ich Totsch habe es ihm versprochen.» Pesche kniff die Augen zusammen und nickte in die Dunkelheit.
«Du weißt, Charles war schwer. Und seit seinem Knie hat er sich auch kaum noch bewegt. Aber Appetit hatte er bis zum Schluss. Knackwurst, nannte er sich manchmal. Ha! Knackig war der nicht mehr. Aber geknackt hat es, als er vom Stuhl rutschte. Einfach beim Abendessen. Ich hatte beim Chinesen bestellt. Beim Chinesen! Und dann schafft der nicht mal mehr eine Frühlingsrolle, nein, rollt selber mit den Augen und klappt weg. Das war’s. Lag der auf dem Teppich und zuckte nicht mal mehr.» Lilly schnäuzte sich. «Ich habe ihn dann gleich in den Teppich eingewickelt. Hat mir sowieso nie gefallen. Ein falscher Perser.» Lilly lachte auf. «Jetzt weiss ich auch wieder, weshalb ich plötzlich auf den Schmuck-Röbi gekommen bin, ja natürlich! Der falsche Teppich! Ich sass auf der Teppich-Rolle, in der mein Mann eingewickelt war und überlegte, wie ich den flauschigen Rollmops auf den Uetliberg und unter die Erde bringen würde. Da fiel mir der Schmuck-Röbi ein. Meine Wut auf ihn war schon lange verflogen, aber das Wissen, dass er falschen Schmuck verkaufte, hatte immer noch Sprengkraft. Ich rief ihn an.» Estelle und Marina hatten es sich unterdessen auf dem Bett bequem gemacht. Das Hasch-Öllämpchen züngelte friedlich vor sich hin.
«Bis wir Charles nur schon im Auto hatten! Zum Glück fiel mir der Wagenheber ein. Und dann mussten wir ihn doch noch unbequem zusammenfalten. Da knackte es dann nochmals.»
Marina quiekte. Estelle hielt ihr sofort die Hand vor den Mund. Aber weder Pesche noch Lilly wurden misstrauisch. Sie schrieben sich gegenseitig diese Gefühlsregung zu.
«Hast du schon einmal einen Menschen vergraben?» fragte Lilly.
«Äh, es ist deine Beichte, Tante», antwortete Pesche, und prüfte sofort, ob nicht doch noch ein Tröpfchen Schnaps im Flachmann war.
«Dann weisst du, wie wichtig das richtige Werkzeug ist.» Fuhr Lilly fort. «Ich hatte nicht das richtige. Röbi verausgabte sich komplett. Er wollte mehrmals hinschmeissen, aber ich erinnerte ihn immer wieder daran, wie schön es doch draussen sei, in der Freiheit. Er pickelte und pickelte, am Schluss grub er sogar mit seinen eigenen Händen.» Lilly schluchzte. «Ich witzelte noch, dass ein Langfinger wie er ja wie dafür gemacht sei…» Jetzt weinte Lilly unkontrolliert. Es brach richtig aus ihr heraus. «Sein Herz», sagte sie, «Sein Herz.»
Pesche sprach ruhig auf sie ein, fragte nach, wartete.
«Ich habe in dieser Nacht zwei Männer in die Grube gerollt», sagte Lilly. «Und das darf niemand wissen, sonst kann Charles nicht bei seinen Katzen bleiben. Und Schmuck-Röbi. Schmuck-Röbi würde noch leben, hätte ich ihn nicht erpresst.» Jetzt sprang Estelle auf. «Das war ein Unfall» rief sie, sie konnte sich nicht zurückhalten. «Das war ein Unfall.» Pesche riss den Vorhang zur Seite. Und im gleichen Moment ging der Feueralarm los.

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